Fred Haller

F.F: Hallo Fred, erstmals vielen Dank das ich deinen Roman lesen durfte.

 

Möchtest du dich einmal kurz Vorstellen?

 

 

 Fred:

Ja, gern! Ich bin 1967 geboren und wuchs in einem kleinen niederbayerischen Dorf auf. Als Jugendlicher fand ich das nicht besonders cool, deshalb ward ich nicht mehr viel gesehen, als ich ein paar PS unter den Hintern bekam. Mit 19 ausgezogen, mit 20 geheiratet, mit 22 war ich das erste Mal Vater. Ein zweites Kind kam sehr viel später dazu. Trotz anderer Neigungen – das hätte man eigentlich schon früh erkennen können - habe ich eine technische Karriere eingeschlagen. Nach einer Berufsausbildung ging ich weiter zur Schule und schloss als Maschinenbautechniker mit diversen Zusatzqualifikationen ab. In zweiter Ehe lebe ich seit 2013 in Eggenfelden, im Rottal. Ich beschäftige mich mit Literatur, Geschichte, Theologie, aber auch praktischen Interessen wie Kochen, Gemüseanbau und so Sachen …

 

 

 

F.F:Dein Roman „Die Saumatz“ beruht ja auf einer wahren Begebenheit. Wie kamst du zu dieser Geschichte, bzw. wie kam die Idee dazu?

 

 

 Fred:

Die Geschichte der Fanni Erlmayer ist mit der Biografie des Räubers Matzeder verbunden, der in meiner Heimat zu seiner Zeit als der gefürchtetste Kriminelle in ganz Altbayern galt. Er wurde in Straubing öffentlich mit dem Schwert hingerichtet. Eine grausliche Sache! Sein fast vergessenes Leben habe ich als erstes aufgespürt. Das hat mich recht neugierig gemacht – seine Missetaten, aber auch die Umstände, die ihn zu dem gewissenlosen Mörder gemacht hatten, die Menschen seiner Umgebung und sein weiteres Schicksal bis auf den Richtblock 1851 – faszinierend! Zusammen mit meinem damaligen Autorenkollegen haben wir die Geschichte sogar (amateurmäßig) verfilmt.
Eines Tages hatte ich die Idee, das Leben des Räubers aus der Perspektive seiner Geliebten zu betrachten und ggf. neu zu erzählen. Ich begab mich also auf die Spuren der Fanni Erlmayer, doch ich kam auch schnell zu der Erkenntnis, dass ich nicht „alten Wein in neuen Schläuchen“ produzieren will. Die starke Fanni war es wert, ihre Biografie in einem Buch zu erzählen.

 

 

 

 

 

F.F:Wie Intensiv war für dich die Recherche Arbeit?

 

 

 Fred:

Nun, mir war schnell klar, dass ich die vollständige Biografie von Fanni Erlmayer nicht würde ergründen können, dazu war sie trotz allem zu unauffällig. Es ist ein Roman geworden, über eine Frau, die sich gegen viele Widrigkeiten behaupten musste. Ihre Familiendaten aus dem Bistumsarchiv ließen aber bereits interessante Interpretationen zu. Ihre Mutter brachte sie als uneheliches Kind mit in die Ehe, ihr Vater verstarb mit 48 Jahren an Karies, die Geburten der Halbgeschwister und natürlich der eigenen Kinder. Daneben gibt es aber durchaus Original-Zeitungsberichte, die sie als Komplizin des Räubers Matzeder benennen. Sie wurde angeklagt und auch zu einem dreimonatigen Arrest verurteilt.

 

Aufwändiger als die Suche nach der persönlichen Geschichte Fannis war allerdings die Ergründung der historischen Lebensumstände. Ich verbrachte viel Zeit in Museen, belegte einen Schnapsbrennkurs, reiste nach Bremerhaven und Hamburg. Für eine authentische Beschreibung der Schiffsreise studierte ich die Takelage von Segelschiffen und die Geschichte der Auswanderer im 19. Jahrhundert.

 

Mancher Betrachter würde sagen, dies sei alles ungerechtfertigter Aufwand – für mich ist die Recherche aber ein persönliches Eintauchen in eine geheimnisvolle Welt, die ich in meinen Geschichten selbst mitgestalte.

 

 

 

F.F:  Gerade gegen Ende hatte ich das Gefühl, das sich die Geschichte ganz gut auf die heutige Zeit ummünzen lässt. Siehe Thema Flüchtlinge. Allerdings flieht ja Fanni nicht vor dem Krieg, sondern eher vor ihrer Vergangenheit. Jedoch erhofft sie sich, genau wie die Flüchtlinge, ein Neues Leben. Gab es einen Moment im Schreibprozess, bei dem dir die Parallelen zu diesem Thema aufgefallen sind?

 

 

Fred:  

Ja, das würde gut klingen und meinem Buch eine neue Tragweite geben, doch die Frage muss ich verneinen. Als ich Fannis Leben erzählte, sah ich sie ausnahmslos in ihrer eigenen Zeit, wie sie zitternd in ihrer Kammer lag oder mit pochendem (liebenden) Herzen in den Armen eines jungen Mannes, weinend im Ziegenstall, bebend vor Zorn …

 

 Das Buch erzählt die Geschichte einer jungen Frau, diese ist tragisch und interessant genug. Wenn man will, kann man natürlich Parallelen zu aktuellen Problematiken erkennen. Womöglich kann Fanni Antworten auf eine Menge Fragen geben oder für Menschen in Bedrängnis ein gutes Beispiel sein, das wünsche ich mir schon.

 

 

 

F.F:GLAUBE! Ebenfalls ein wichtiges Thema in der Geschichte. Es heißt ja nicht umsonst dass der Glaube Berge versetzen kann. Wie stehst du zu dem Thema? Findest du den Glauben, und damit meine ich den Glauben Allgemein und nicht nur in Bezug auf die Religion, wichtig?

 

 

 Fred:

Religion ist von Menschen gemacht. Konfessionen sind von Menschen gemacht. Mir ist Folgendes klar geworden: In der heutigen Zeit haben Psychologen Hochkonjunktur und können doch die Probleme der Menschen nicht lösen. Fanni und zigtausend andere Menschen wie sie hätten an ihren Nöten, Ausgrenzungen und Misshandlungen zerbrechen müssen …

 

Sie zerbrachen nicht! Sie kannten eine bessere Adresse als Psychologen, Coaches oder Selbsthilfegruppen (Hilfe! Ich möchte hier niemanden diskreditieren - das alles ist heutzutage verdammt wichtig!!). In den größten Lebenskrisen fanden diese Menschen Trost und Hilfe im Gottvertrauen! Das ist Fakt. Wenn ich nicht selbst erlebt hätte, wie ein kaputtes Leben plötzlich eine Wendung und neue Perspektiven erfahren kann, hätte ich das nicht geschrieben.

 

 

 

F.F: Bis zu welchem Punkt in der Geschichte reicht deine Recherche Arbeit? Also bis zu welchem Punkt konntest du etwas über das Leben der Fanni heraus finden?

 

 

 Fred:

Fanni war die Geliebte des Räubers Matzeder. Sie wurde wegen Komplizenschaft verurteilt. Sie heiratete Jakob Diesinger, der ebenso wie sie kein unbeschriebenes Blatt war. Was aus den beiden geworden ist, weiß ich nicht. Die Spuren haben sich verlaufen. Aus ihrem Umfeld sind mehrere „verdächtige Individuen“, auch Georg Zinsberger, mit dem sie eine Affäre hatte, nach Amerika ausgewandert. Dieses Ende war für mich so reizvoll, dass ich die Fanni auch in ein Schiff gesetzt habe. Aber wie! Das Segelschiff Eugenie aus meiner Geschichte hat tatsächlich am 5. Juli 1865 unter Kapitän Canbley die Segel gehisst und die Reise von Hamburg in die Neue Welt angetreten.

 

 

      F.F:Mal ganz unabhängig von den ganzen aufgeführten Fakten im Buch. Viele Autoren behaupten ihre Figuren würden ein Eigenleben führen und sie wären nur der stille Beobachter. Ist das bei dir genauso gewesen?

 

 

 Fred:

Schon. Zumindest teilweise. Die historischen Fakten gaben den Rahmen und dann habe ich eine Geschichte gesponnen, wie sie sehr wahrscheinlich hätte sein können. Fanni war eine Heldin – davon bin ich überzeugt. Unabhängig davon, wie genau ich ihre Lebensgeschichte getroffen habe, habe ich großen Respekt vor ihr. Es ist wirklich so, dass auch ich manchmal staunte, was sich da abspielt. Vieles war nicht vorgegeben, sondern sah ich als Beobachter, oder als eine der Begleitpersonen der Szenen. Manchmal war ich Mäuschen, manchmal ein Geist in ihrem Herzen.

 

 

 

F.F:Gab es einen Auslöser oder einen Grund weshalb du mit dem Schreiben angefangen hast?

 

 

 Fred:

Wie anfangs erwähnt, begann ich um der wenigen Überlieferungen über den Räuber Franz Matzeder zu recherchieren. Da ich mir nix merken kann, musste ich das aufschreiben! 😊

 

 

 

F.F:Gibt es gerade ein Buchprojekt an dem du Momentan arbeitest? Wenn ja willst du uns ein bisschen was darüber erzählen, wenn nein hast du noch ein weiteres Buch geplant?

 

 

 

Fred:

Spätestens im Juni wird ein neues Buch erscheinen. Das wird dann thematisch (zufällig) sehr nah an der derzeitigen Weltkrise liegen. Ich habe wieder fast drei Jahre daran gearbeitet. In einem Autoren-Workshop habe ich vor über einem Jahr erste Passagen daraus vorgetragen, und das Urteil eines renommierten Lektors dazu war distanziert. Jetzt könnte es plötzlich tatsächlich Potenzial haben. Es geht dabei um einen jungen Arzt, der vor dem großen Fieber aus seiner Heimatstadt Salzburg flieht. Er findet in einem bayerischen Dorf Zuflucht und freundet sich mit dem dort ansässigen Bader an, der ihm auch Lehrmeister wird. Zusammen kämpfen sie gegen das Fieber und um das Herz einer Frau. Der Titel wird sein: Die Chroniken des Physikus – Das große Fieber

 

Ich freue mich sehr darauf!

 

 

 

 

 

Feuer_Feder:Dann vielen herzlichen Dank das du dir die Zeit genommen hast, meine Fragen zu Beantworten. Ich hoffe das wir, auch in Zukunft, noch einiges von dir hören/ lesen dürfen.

 

 

 

 

 Zusätzliche Anmerkung des Autoren:

Vielleicht sollte man noch etwas zu dem provokanten Buchtitel anfügen!?

 

Fanni kam als uneheliches Kind in die Familie Erlmayer. Sie war ein Bangert, wie man damals sagte. Das Verhältnis zwischen Fanni und ihrem Stiefvater war angespannt, und zuweilen sehr schlecht. In einem Streit schimpfte er sie „Du Saumatz!“. Obwohl Fanni eine sehr liebenswerte Person war und das ganze Buch eine tiefgründige Lebensgeschichte erzählt, habe ich den Arbeitstitel auch als Buchtitel beibehalten.

 

Eine Matz ist im Bayerischen zweideutig. Der Ausspruch „Du bist a Matz!“, mit der starken Betonung auf das „Du“, stellt eine anerkennende Form dar, vgl. mit „Du bist a Hund!“

Wie auch immer – „Die Saumatz“ ist in jedem Fall ein „Eyecatcher“.

 

 

 

Interview mit Jeanette Oertel "Der Wunde Himmel"

 

 

 

Feuer_Feder: Hallo Jeanette, vielen Dank das du dir Zeit nimmst ein paar Fragen Zu beantworten. Möchtest du dich vielleicht kurz vorstellen?

 

Jeanette Oertel: Ich bin Jeannette Oertel. Autorin des Romans „Der wunde Himmel“. Ein Spannungsroman mit Krimi-Elementen und eine Liebesgeschichte zugleich, seit kurzem auf der Welt. Mein Debütroman.

 

Ich wurde in der DDR geboren, und wegen der Mauer um meine Heimat bin ich schon früh im Kopf durch die ganze Welt gereist. Meine Phantasie verwandelte die graue Industriestadt, in der ich die ersten Jahre aufgewachsen bin, in Buntes, Schillerndes. Etwas in mir war lange vor Mauerfall zuversichtlich: Eines Tages entdecke ich die Welt.

 

Und weil es so viel aufzuholen gab, ging nach der Wende meine erste große Reise auch gleich nach Neuseeland. Dort erlebte ich dann fast alle Naturschönheiten zum ersten Mal auf einen Streich: Gletscher. Fjorde. Kochende Erde. Regenwälder. Ich war so hingerissen, dass ich dorthin auswandern wollte.

 

Ich wollte die ganze Welt auf einmal, doch das war der Welt zu schnell, lach. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich in Berlin gelebt und geliebt, aber auch in London, Brüssel und München. Meine Wahlheimat inzwischen ist am Bodensee.

 

Bevor ich die Idee, zu schreiben hatte, habe ich gesungen, erst in einer Band und dann klassisch, und habe mich schließlich für einen Beruf mit Fremdsprachen entschlossen und im Diplomatischen Dienst gearbeitet, in einer Botschaft eines orientalischen Landes  – dem Hauptschauplatz meines Romans. Dort wurde meine Kreativität entfacht wie nie zuvor, und irgendwann ist sie aus mir geplatzt. Ich schrieb Kurzgeschichten, wobei die Idee eines Romans immer mehr Gestalt annahm. Ich bin drangeblieben, mit all meiner Hingabe. Zumal ich Tiefenpsychologie zu studieren begonnen habe. Abgründe und geheime Winkel in Menschenseelen faszinieren mich, was in „Der wunde Himmel“ miteingeflossen ist.

 

 

Feuer_Feder: Ich finde dass die Geschichte auf jeden Fall in die aktuelle Zeit passt. Wie bist du auf die Idee für diesen Roman gestoßen?

 

Jeanette Oertel: In meinen Debütroman mit eingeflossen ist eine wahre Liebe, während der ich von Anbeginn an gespürt habe: Sie wird mein Leben radikal wandeln.

 

Und gleichzeitig war da ein Grusel damals in der Botschaft. (Mehr dazu im Buch.) Ohne zu schreiben hätte ich manche Geschehnisse damals kaum verkraftet.

 

Zumal die mir angekündigte Überwachung durch den Geheimdienst jenes Landes mich ziemlich getriggert hat. Das hat eine Geschichte: Als Teenager war meine beste Freundin als Stasi-Spitzel auf mich angesetzt, auch um an meine Eltern heranzukommen. Ich hatte das immer wieder gewittert, meine Intuition jedoch als paranoid abgetan. Was für ein Irrtum.

 

Und doch konnte ich später nicht anders, als mich immer wieder auf Menschen einzulassen, die eine gewisse Gefahr ausstrahlten. Die Abenteuerin in mir war einfach stärker.

 

Und als die ersten politischen Unruhen in Deutschland begannen, erinnerte ich mich an die Wende-Demos und meine erste Verliebtheit mitten in dieser Umbruchszeit. Wird eine große Liebe durch politische Aufruhr abgelenkt oder stärker? Wenn sie auch Menschenschicksale wendet? In „Der wunde Himmel“ wollte ich es noch einmal wissen.

 

 

 

Feuer_Feder: Ich durfte deinen Debüt Roman „Der wunde Himmel“ lesen und muss sagen dass mir die Protagonistin Tabea von Anfang an sympathisch war. Wieviel von deiner Persönlichkeit steckt denn in Tabea? Hat sie überhaupt etwas von deinem Charakter bekommen?

 

Jeanette Oertel: Danke, liebe Michaela. Tabea ähnelt mir in vielem. Ihre Art, zu lieben, zu begehren, ihre starke Neigung zur Sehnsucht. Diese Eigenschaften habe ich in ihr auf die Spitze getrieben und sie weiterleben lassen, was ich selbst letztlich wohl doch nicht wagen würde. Ich war gespannt, wie es sich anfühlen würde, meine eigenen psychischen Grenzen zu sprengen.

 

Während ich das Buch erschuf, war ich fast durchweg in Tabeas Welt versunken und bereue keinen Augenblick davon. Gen Schluss hat das Fertigstellen des Buches mir sogar über eine sehr schwere Erkrankung hinweggeholfen. Und so geschahen Anfang dieses Jahres dann gleich zwei Wunder: Ich war geheilt und mein Buch-Baby geboren.

 

 

 

Feuer_Feder: Du warst auch selbst im Diplomatischen Dienst tätig, inwiefern hat dich das beim Schreiben beeinflusst? Hat es dir geholfen? Hat es dich inspiriert?

 

Jeanette Oertel: Während meiner Zeit in der Botschaft habe ich Widersprüchliches, Ungeahntes und Erschreckendes erlebt. Vor allem aber: Besondere Menschen kennen und lieben und fürchten gelernt. Immer eingewoben, all das, in Musik (mehr dazu im Roman), die die Geschehnisse wie Filmmusik begleitet hat. In einem Meer von Staatsfahnen, zwischen Ministerbesuchen mit Dienerschaft und dem Bundespräsidenten beim Abendempfang, in einem Palast aus Marmor, Elfenbein, Gold und Seide.

 

Manchmal blieb ich bis in die Nacht dort, und erst dann, in einer Stille, die tagsüber unmöglich war, konnte ich die orientalische Märchenkulisse genießen.

 

Und doch fühlte ich mich eingesperrt.

 

Und doch wollte ich mein „Verlies“ kaum verlassen. Es zog mich kaum mehr nachhause und mir dämmerte: Das ist nicht gesund! Wie eine Prinzessin wurde ich von den Menschen jenes völlig anderen Kulturkreises behandelt und doch mit meinem enormen Freiheitsdrang zusehends in die Enge getrieben. Und entdeckte neue Seiten in mir: Demut, Sanftheit und eine Passivität, welche die Art von Weiblichkeit, die ich zuvor glaubte, leben bzw. darstellen zu müssen, in den Schatten stellte. Ich fand heraus: Ich muss nicht immer stark und taff sein. Ich darf auch schwach sein, nachgiebig, „sogar Männern gegenüber“. Spielerisch und weich.

 

 

 

Feuer_Feder: Von den vielen Figuren in deiner Geschichte, welche ist deine Lieblingsfigur und Warum?

 

Jeanette Oertel: Neben Tabea, deren Herz ich schlage oder sie meins, ist meine Lieblingsfigur die böseste Figur im Roman. Die dunkelste. Den Namen verrate ich nicht, er würde zu viel enthüllen. Dieser Mensch sorgt bis zum Schluss dafür, dass nichts vorhersehbar ist, dafür bleibt er oder sie absolut unberechenbar.

 

 

 

Feuer_Feder: Hast du irgendeine spezielle Art und Weise wie du an deinen Romanen/Geschichten arbeitest?

 

Jeanette Oertel: Ich erlebe oft starke Gefühle, die aus mir raus müssen, ob ich will oder nicht. Die Emotionen zwingen mich an den Rechner oder, wenn das nicht möglich ist, dazu, Papier und Stift an mich zu reißen und mit Schreiben loszulegen, wo immer ich gerade laufe, sitze oder stehe. Dialogfetzen entstehen so oder ganze Textpassagen. Deshalb gehe ich nie ohne Schreibzeug aus dem Haus, lach.

 

Sobald ich mich entscheide, daraus eine Kurzgeschichte, Romanszene oder Roman-Idee zu entwickeln, entsteht um diese Gefühle herum in meinem Kopf ein vager Handlungsrahmen. Dem vertraue ich. Das macht aber trotzdem jedes neu anbrechende Kapitel zu einer Mutprobe und sorgt für eine Woche Verzweiflung, lach, weil Papier sich selten schnell ganz füllt.

 

Mitunter öffnen auch Arthaus-Filme geheime Regionen in mir, aus denen dann plötzlich überraschend meine eigenen Ideen zu sprudeln beginnen. Und manchmal inspirieren mich auch Träume und Menschen, die ganz sie selbst sind. Und: Ich höre beim Schreiben häufig Musik, am liebsten Agnes Obel und Angel Olsen. Dabei spüre ich meinen Szenen so lange nach, bis sich alles rund anfühlt, und dann lasse ich das Kapitel los und feiere es. Eine spannende Reise ist das, ins immer wieder Unbekannte, eine Reise, die süchtig machen kann.

 

 

 

Feuer_Feder: Arbeitest du derzeit wieder an einem Projekt? Wenn ja willst, kannst oder darfst du schon etwas darüber verraten?

 

Jeanette Oertel: Vor wenigen Wochen lief ich durch das menschenleere Meersburg am Bodensee und habe die verstorbene Dichterin Annette Droste-Hülshoff besucht. Die Sonne schien voller Kraft, doch ich fror, als ich danach an den reihenweise verbarrikadierten Lokalen, Cafés und Läden entlanglief, auch an Buchläden. Die Stille über all dem war absolut. Wenn Menschen einander entgegenliefen, wichen sie bereits von weitem einander aus. An den ersten Tagen musste ich dabei immer an den Film „Die Frauen von Stepford“ denken oder an Science Fiction-Szenen aus Filmen, die ich als Kind mit meinem geliebten Vater gemeinsam angesehen habe. Ich war sicher, dass dieses Gefühl, plötzlich in einer surrealen Welt zu leben, sich nach und nach legen würde, doch es hielt an. Ich liebe Thriller und Dystopien, sehr, doch jetzt sind wir mittendrin, dachte ich nur noch. Und so tat sich die Idee für meinen neuen Roman in mir auf wie ein Filmtrailer, und ich begann, am Bodenseeufer, zwischen Enten, die an Land getrappelt waren (was sie zuvor nie getan hatten), meine neuen Protagonisten aufs Papier zu schreiben, gab ihnen Namen, entwickelte ihre Charaktere. Wie gesagt: Leidenschaften, Abgründe und geheimste Winkel in den Menschenseelen faszinieren mich, und Mut, ganz besonderer Mut, was auch in diesen Roman mit einfließen wird.

 

 

 

Danke, liebe Michaela, für dieses spannende Interview, und alles Liebe und Gute dir und viel Erfolg!